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VR

MEDICUS

APOTHEKEN.

Für große Aufmerksamkeit bei den Apothekern und der Pharmaindustrie hat die Formulierung im Koalitionsvertrag

gesorgt, wonach „sich Union und SPD für ein Rx-Versandverbot einsetzen wollen“. Zunächst überrascht diese For-

mulierung, denn eine Umsetzung dürfte unter Umständen schwierig sein; zurecht, denn nicht nur die Kritiker eines

solchen Verbots sehen europa- und verfassungsrechtliche Bedenken sowie ein daraus resultierendes potenzielles

Staatshaftungsrisiko.

Kommt die Abschaffung des Rx-Versandhandels ?

Fraglich ist beispielsweise, ob es sich bei dem Verbot um eine

unverhältnismäßige Einschränkung der Berufsausübungsfrei­

heit handeln könne. Allerdings wurde in einer früheren Ent­

scheidung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein Verbot

auch schon als durchaus vereinbar mit der Warenverkehrsfrei­

heit eingestuft. Umgekehrt beurteilte das deutsche Bundes­

verfassungsgericht 2016 das Verbot einer Partnerschaftsge­

sellschaft von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern als

verfassungswidrig – eben aufgrund eines unverhältnismäßigen

Eingriffs in die Berufsfreiheit.

Zur Erinnerung: Worum geht es eigentlich bei dem Rx-

Versandhandelsverbot?

Ausgangssituation: Die niederländische Internetapotheke

DocMorris gewährt den Mitgliedern der Selbsthilfevereini­

gung Deutsche Parkinson Vereinigung (DPV) Rabatte, wenn

sie sich ihre online bestellten (verschreibungspflichtigen) Par­

kinson-Medikamente per Post zusenden lassen.

Deutsche Rechtsprechung bis zum EuGH-Urteil: Deutsche Ge­

richte hatten die Auffassung vertreten, dass die hierzulande

geltende Preisbindung für verschreibungspflichtige Arznei­

mittel auch auf Versandapotheken mit Sitz im Ausland An­

wendung zu finden habe.

Das EuGH-Urteil (Oktober 2016): Der Europäische Gerichts­

hof in Luxemburg entschied im Oktober 2016, dass EU-Ver­

sandapotheken sich in Deutschland nicht an die hier gelten­

de Arzneimittelpreisverordnung halten müssen, denn diese

Preisbindung komme einem Verstoß gegen das Unionsrecht

gleich. Die Richter werteten die einheitlichen Apothekenab­

gabepreise für Rx-Medikamente als Erschwerung des Markt­

zugangs für Apotheken aus dem EU-Ausland und somit als

ungerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs.

Sie gehen ferner davon aus, dass mit ihrer Entscheidung po­

sitive Anreize hinsichtlich eines Preiswettbewerbs in der Arz­

neimittelversorgung geschaffen werden.

Die Folgen und Forderungen der Politik 2017: Das Urteil wurde

in Deutschland insbesondere von den Apotheken mit Sorge

aufgenommen, denn ausländische Versandhändler haben da­

mit gegenüber den hiesigen Apotheken einen Wettbewerbs­

vorteil, da sie Boni auch auf verschreibungspflichtige Medika­

mente gewähren dürfen. Das Urteil würde zu einer weiterhin

sinkenden Zahl an Präsenzapotheken führen sowie zu einer

Einschränkung der Notfallversorgung. Als Ausweg wurde

die Einführung eines generellen Versandhandelsverbots für

verschreibungspflichtige Medikamente erwogen. Dieses vom

damaligen Gesundheitsminister der CDU geforderte Verbot

fand jedoch keine Mehrheit im Koalitionsausschuss (März

2017). Nicht nur von der SPD, auch aus den eigenen Reihen

sowie von Seiten des CDU-geführten Finanzministeriums

wurden entsprechende Bedenken geäußert.

Neben den juristischen Vorbehalten sehen die Kritiker durch

ein Verbot auch die Versorgung – gerade in ländlichen Regi­

onen – gefährdet, denn nicht jede Vor-Ort-Apotheke bietet

Botendienste an und auch die Spezialversender, die besondere

Präparate bei gewissen Indikationen herstellen und verschi­

cken, wären vom Verbot ebenso betroffen. Hinzu kommt, dass

Patienten mit Mobilitätseinschränkungen von einer Lieferung

der Arzneimittel an die Haustüre profitieren. Modellprojekte

zeigen, dass es Alternativen gibt – wie die seit Jahresanfang

betriebenen Rezeptsammelstellen in Baden-Württemberg

oder im Saarland. Dort erfolgt die Arzneimittelzustellung dann

sogar schneller als über eine Online-Apotheke.

Unabhängig von diesen Bedenken stellt sich die Frage, ob es

– mit Blick auf die Entwicklung im Ausland – auf lange Sicht

überhaupt gelingen könnte, ein Online-Versandhandelsver­

bot aufrechtzuerhalten. Studien zeigen, dass das deutsche

Gesundheitswesen bereits heute Nachholbedarf in Sachen